Selbstverständlichkeiten

Geschrieben von Berthold Glauer-Voß | Veröffentlicht in Schlei.Journal | am

Neulich habe ich meine Frau spontan gefragt, ob Sie mich liebt. Die Frage war eher scherzhaft gemeint, da ich davon überzeugt bin, dass sie mich liebt. Genauso wie ich sie immer noch liebe. Ihre Antwort war entsprechend und dennoch hat sie mich überrascht und nachdenklich gemacht. Sie antwortete: „Aber selbstverständlich liebe ich Dich. Das weißt Du doch.“ Ja. Ich weiß es und ich glaube es auch. Aber ich sorge mich gerade um das selbstverständliche, weil unsere Beziehung gefühlt oft nicht die oberste Priorität in unserem Leben hat und dies zweifelsohne schon selbstverständlich ist. Verstehen Sie mich?

Ich glaube, ich verstehe Sie. Aber es ist manchmal auch wirklich verflixt. Da gibt es nicht nur den Partner, die eigenen Kinder und die Familie und Schwiegerfamilie, sondern auch die Hobbys, den Freundes- und Bekanntenkreis, vielleicht noch ehrenamtliches Engagement und nicht zuletzt den herausfordernden Beruf, wohlmöglich die endlose Karriereleiter mit noch so vielen nicht erklommenen Stufen. Tablets und Smartphones, die nicht abgeschaltet werden, runden die Sache ab, oder sie lenken darüber hinweg, dass das Selbstverständliche doch nicht so perfekt ist.

Hut ab! Ihnen ist etwas aufgefallen, womit sie nicht zufrieden sind, nämlich, dass man seinen Partner und seine Liebe für selbstverständlich hält. Im Alltag wird nicht selten der Partner aus den Augen verloren, gerade weil man ihn für selbstverständlich hält und es genügend anderes gibt, um das man sich kümmern möchte und muss. Eine Zeit lang reicht es aus, dass man voneinander weiß, dass man sich liebt und dass man sich so gut kennt und deshalb meint, den anderen vollumfassend einschätzen zu können. Zum Beispiel, dass er oder sie bestimmt damit einverstanden ist oder Verständnis dafür hat, mit dem, was man wie, wann, mit wem und wie oft macht. Wenn man aber nicht aufpasst, dann wird das alles irgendwann mehr und wichtiger als der Partner, und man ist immer mehr mit dem Eigenen beschäftigt. Ganz selbstverständlich verschieben sich so unbeabsichtigt die Prioritäten. Die Achtsamkeit und Aufmerksamkeit seinem Partner gegenüber verflüchtigt sich, die eh schon knappe gemeinsame Zeit wird mit Gesprächen über die Alltagsorganisation gefüllt, und als Paar verbringt man meistens nur noch qualitätslose Zeit miteinander.
Dabei sollte allen Partnern klar sein: Die Beziehung geht immer vor! Und es ist selbstverständlich trotzdem möglich, in Beziehungen autonom und unabhängig zu sein.